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2011 – Annegret Winter

Ho trovato un articolo di Annegret Winter, la quale ha scritto un articolo su Anselm Feuerbach e la sua modella Anna Risi.
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Articolo che riporto anche qui di seguito.

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Anselm Feuerbach und sein römisches Modell Anna Risi
– eine Spurensuche

 

Das Bild der Frau ist das Bild des Mannes von der Frau"
Werner Hofmann (1)

Anselm Feuerbachs Name ist noch heute aufs engste verbunden mit dem Mythos
des verkannten Künstlers und Genie. Dazu hat nicht nur seine Selbstdarstellung in
erhaltenen Briefen und Selbstporträts beigetragen, sondern insbesondere die nach
seinem Tod veröffentlichte Biografie ‚Vermächtnis’, die allerdings von seiner
Stiefmutter stark manipuliert wurde. 2 Gravierend in der Wahrnehmung von
Feuerbachs Werk ist aber auch ein zentraler Abschnitt seines Schaffens aus der
ersten Hälfte der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts, den er absolut seinem Modell
Anna Risi widmete, deren Einfluss ihn zur Vollendung seines Stils führte. Heute gilt
sie als eines der berühmtesten Gesichter der Kunstgeschichte.
Leben und Ausbildung
Anselm Feuerbach wurde 1829 in Speyer als Sohn des Philologen und
Archäologen Joseph Anselm Feuerbach geboren. Seine Erziehung in Kindheit und
Jugend sowieso seine künstlerische Ausbildung zeichneten schon den Weg vor, auf
dem sich Anselm zu einem der bedeutendsten Vertreter der gemeinhin idealistisch–
antikisierend genannten Malerei des 19. Jahrhunderts entwickelte. Sein Vater – 1836
als Professor für Altertumswissenschaften an die Universität Freiburg im Breisgau
berufen – gründete seinen Ruf in der archäologischen Fachwelt auf eine Schrift
über die antike Statue des vatikanischen Apoll von Belvedere, einer römischen
Kopie nach einem griechischen Bronzeoriginals von Leochoras aus den vierten
Jahrhundert v. Chr.. Auch als der Vater in zweiter Ehe Henriette Heidenreich
heiratete, erhielten die Kinder Anselm und die zwei Jahre ältere Emilie weiterhin
eine gediegene humanistische und musikalische Ausbildung. Zeitlebens wurde
Feuerbach – wie die meisten Mitglieder der Familie Feuerbach – von psychischen
Problemen gequält, die er selbst als Melancholie, innere Qual oder Seelenpein
beschrieb.
Obwohl Anselm einer der besten Schüler am Gymnasium war, drängte er –
schon ausgestattet mit den durch den Vater vermittelten Kenntnissen über die
1 Hofmann, Werner (Hrg.): Eva und die Zukunft. Das Bild der Frau seit der Französischen
Revolution. München 1986. S. 13.
2 Kupper, Daniel (Hrg.): Anselm Feuerbachs „Vermächtnis“. Die originalen Aufzeichnungen. Berlin
1992. S.13f.
2
griechische und römische Geschichte und Kunst – zum Abbruch der schulischen
zugunsten einer künstlerischen Ausbildung. So ging er als 16-jähriger an die
Düsseldorfer Akademie. Das Klima dort wurde stark bestimmt durch den Nazarener
und Akademiedirektor Wilhelm von Schadow (1789-1862), der 1814 in Rom zum
katholischen Glauben konvertiert war. Obwohl er sich vor allem religiöser
Historienmalerei widmete, fußte seine Lehre nicht nur auf den Grundlagen der
Antike und der Alten Meister. Entsprechend seiner Forderung nach der Darstellung
der naturgemäßen Wirklichkeit, hatte Schadow daher 1831 eine Klasse für
Landschaftsmalerei eingerichtet. Damit anerkannte er die Leistungen zweier seiner
Schüler, des Historien- und Landschaftsmaler Karl Friedrich Lessing (1808-1880)
und des späteren Professor für Landschaftsmalerei Johann Wilhelm Schirmer, die
schon 1827 einen ‚landschaftlichen Componierverein’ gegründet hatten. Unter
ihrem richtungweisenden Einfluss entwickelte sich die Düsseldorfer Schule.
Anselm Feuerbach soll aber auch bei Karl Sohn (1805-1867), der nach dem Vorbild
der Venezianer und der flämischen Malerei des 17. Jahrhunderts arbeitete, in die
Porträtmalerei eingewiesen worden soll.
Schon als Achtzehnjähiger schrieb er an den Vater, dem er die Begegnung mit
der Antike und ihren Gestalten dankte, einige geradezu für sein ganzes Leben
programmatische Zeilen: „Ich fürchte mich vor der Nüchternheit und Hohlheit, die
die jetzige Welt regiert. Man muß sich zurückflüchten zu den alten Göttern, die in
seliger, kräftiger, naturwahrer Poesie den Menschen darstellen, wie er sein sollte. In
die Zukunft flüchten geht auch nicht, denn welche Zukunft steht unseren Geldund
Maschinenmenschen bevor?“3
Im Jahr darauf traf man ihn beim Kopieren der alten Meister in der Münchner
Pinakothek vor Rubens, van Dyck und Murillo. Anscheinend hat er sich nicht für
die Lehrer an der Münchner Akademie interessiert, und auch bei Karl Rahl
(1812-1856) war er nur acht Tage4, um seine Maltechnik auszubauen. Sein
Kommentar: „In München habe ich 2 Jahre meines Lebens verloren.“5 Ebenfalls
zur Verbesserung seiner Maltechnik reiste er ab 1850 nach Antwerpen und Paris,
aber erst 1852 wurde er Schüler bei Thomas Couture (1815-1879), der wiederum im
Rückgriff auf die italienische Renaissance-Malerei und antike Vorbilder lehrte, aber
trotz seiner monumentalen Kompositionen auch die Weichheit des Farbauftrages
3 Zitiert nach: Einem, Herbert von: Die Kunst Anselm Feuerbachs. In: Schimpf, Hans: Das
Feuerbachhaus. Schriftenreihe über das Leben und Wirken der Familie Feuerbach. H. 2. Speyer
1982. S. 8.
4 Kupper, Daniel (Hrg.): Anselm Feuerbachs „Vermächtnis“. Die originalen Aufzeichnungen. Berlin
1992. S. 51.
5 Kupper, Daniel (Hrg.): Anselm Feuerbachs „Vermächtnis“. Die originalen Aufzeichnungen. Berlin
1992. S. 51.
3
und Feinheit der Farbgestaltung beherrschte, so dass Anselm schrieb: "Couture
sagte mir, wenn ich erst so sorgfältig malen könnte, wie meine Zeichnung und
Auffassung sei, dann würde ich bald zur gelangen. Er kommt
beinahe alle Tage und lobt und geißelt mit Geist und großer Liebenswürdigkeit. Im
Louvre führt er uns nur vor Raffael, Tizian und Veronese. … Coutures Gestalten
haben eine solche plastische Noblesse und Schönheit wie die Antiken. Mir geht ein
Licht über dem anderen auf, was der liebe Vater trotz seiner Leiden immer wollte,
und wenn ich auch spät zur Erkenntnis gelangte, so ist die Erfahrung für mein
ganzes Leben.“6
1854 war er in Karlsruhe, wo er ihm gelang, ein paar gefällige und wenig
qualitätsvolle Supraporten an den Großherzog zu verkaufen, doch konnte er in der
konservativen Residenzstadt nicht reüssieren. So wurde auch die Nominierung
seiner aktuellen Werke, Der Tod des Pietro Aretino, den er in Paris begonnen hatte
und nun in Karlsruhe, in seinem Atelier im Gartensaal des Weinbrennerscher
Hauses, vollendete, und die Versuchung des Heiligen Antonius für die
Weltausstellung in Paris abgelehnt. Doch Johann Wilhelm Schirmer, vormals
Professor für Landschaftsmalerei in Düsseldorf und nun Leiter der eben
gegründeten Karlsruher Kunstschule, gelang es, Anselm als Stipendiaten nach
Venedig zu senden. Mit seinem Freund, dem Dichter Joseph Viktor von Scheffel
(1826-1886) traf er am 1. Juni 1855 in Venedig ein. Anscheinend hatte sich
Feuerbach in Venedig eine syphilitische Infektion zugezogen7, die er vor seiner
Stiefmutter, die ihn verheiraten wollte, verheimlichte. Jürgen Oppermann, der die
‚Reisebilder’ von Joseph Victor von Scheffel“8 bearbeitet hat, konnte allerdings bei
Scheffel keine Bemerkung zur Erkrankung Feuerbach finden. Zu dieser Zeit war
die Beziehung zwischen den beiden Männer ausgesprochen inspirierend. So plante
Scheffel unter dem Eindruck von Feuerbachs Aretino einen Roman, der das
venezianische Leben zur Zeit Aretins behandeln sollte, der aber nicht zur
Vollendung kam. Doch schlief die Freundschaft nach 1860 offenbar ein, weil
Feuerbach den Bemühungen Scheffels ihn in Weimar mit einer Professur zu
versorgen, nicht nachkam.9
6 Fischer, Otto (Hrg.): Anselm Feuerbach. Briefe und Bilder. Stuttgart 1922. S. 16.
7 Spoerri, Theodor: Genie und Krankheit. Eine psychopathologische Untersuchung der Familie
Feuerbach. Basel 1952. S. 89: verweist hierzu auf unveröffentlichte Briefe.
8 In persönlicher Korrespondenz mit der Autorin.
9 Siehe hierzu: Höfer, Conrad: Joseph Viktor Scheffels Feuerbachbriefe an den Grossherzog Carl
Alexander von Weimar. In: Von Büchern und Menschen. Festschrift Fedor von Zobeltitz. Weimar
1927. S. 342-68.
4
Im Winter 1855 siedelte Feuerbach – schon ohne Scheffel – nach Florenz über,
wo er sich aus Krankheitsgründen mehrere Monate aufhalten mußte. Erst am 1.
Oktober 1856 erreichte er endlich – von Fieber geschüttelt – Rom, das lang
ersehnte Ziel. Bald lernte er hier den Kupferstecher Julius Allgeyer (1829-1900),
seinen Freund und späteren Biografen, im Caffe Luigi auf der Via Sistina 16
kennen, machte die Bekanntschaft verschiedener Künstler, unter anderen Begas
und Böcklin, sah die antiken Überreste, studierte Michelangelo und Raffael, las
wieder die Schriften seines Vaters. Rom blieb bis 1872 sein Lebenszentrum.10 Dort
lernte er auch das Modell Anna Risi kennen, die ihn so inspirierte, dass er an ihrem
Abbild seinen Stil entwickelte und vollendete. 1873 trat er eine Professur in Wien
an, doch dachte er bald daran, Wien zu verlassen. Er hatte psychische Probleme,
kränkelte, zog sich schließlich eine Lungenentzündung zu. Da er überzeugt war, daß
die Meerluft Venedigs seiner angegriffenen Lunge gut täte, war er ab September
1876 dort anzutreffen. Seine Bezüge von der Wiener Akademie erhielt er bis Ostern
1877. Im Herbst dieses Jahres gab er sein römisches Atelier auf. Nun schwanden
seine Kräfte zusehens, Feuerbach wurde zunehmend depressiver. Er starb einsam in
den frühen Morgenstunden des 4. Januar 1880 im Hotel Luna in Venedig.
Die historische Folie
Als Anselm Feuerbach 1855 nach Italien kam, waren die Hegemoniekämpfe
unter den italienischen Staaten und Österreich als Herrscher über Lombardei/
Venetien um die Vormacht in Italien noch voll im Gange, aus denen schließlich das
geeinigte Italien hervorgehen sollte. Einen Höhepunkt in diesem Prozess stellte
1861 die Wahl Vittorio Emmanuelles zum ‚König von Italien’ dar. Aber erst 1866
wurde die territoriale Einigung erzielt, als durch diplomatische Verträge Venetien
Italien zugesprochen wurde. So wurde Rom 1870, nach der Besetzung durch
Truppen des königlichen Generals Cadorna zur Hauptstadt des Königreiches.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Rom, insbesondere aber der Papst, unter dem
Schutz einer französischen Besetzung gestanden, die den vor Mazzini 1848 nach
Gaeta geflohenen Papst im Jahr 1850 wieder nach Rom geholt hatte. Während
dieser französischen Besatzung änderte sich zwar das Angesicht der Stadt und die
Lebensumstände der Künstler kaum. Gewisse Einschnitte aber in den usanze, den
römischen Gewohnheiten gab es wohl. So nahmen sich die Franzosen der
Polizeiverwaltung an, die nun das Betteln oder Messertragen bekämpften. Obwohl
nationale und radikale Kreise der Bevölkerung in Hader mit der päpstlichfranzösischen
Herrschaft lagen, funktionierte das Regierungssystem im alten Stil.
Das heißt, es wurde weiterhin vor der Elite der päpstlichen Verwaltung und dem
Hochadel geführt. Aus 150 bis 170 Prälaten bestand die oberste geistliche Kaste, die
10 Zu seinen Ateliers siehe: Noack, Friedrich: Deutsches Leben in Rom. Stuttgart 1907. S. 432.
5
knapp 7000 weltliche Beamte leiteten. 60 adlige Familien, die teils auch am
päpstlichen Hof Ämter bekleideten, standen einem Bürgertum gegenüber, das in
klientalen Verhältnissen an es gebunden war. Im Grunde konnte die umfangreiche
Künstler- und Gästeschar, so auch Anselm Feuerbach während seiner römischen
Jahre zwischen 1856 und 1872, insbesondere durch die französischen Besatzung,
unbehelligt von der Tagespolitik leben.
Zwar ließen sich in der Stadt im 19. Jahrhundert keine nennenswerten
industriellen Aktivitäten nachweisen, aber nun wurden auch hier Bahnlinien
eröffnet, die die Anreise erleichterten: 1859 die Linie Civitavecchia nach Rom, 1862
die nach Neapel und 1866 die nach Foligno und Florenz. Auch die Bevölkerung
wuchs nun sehr schnell. Während im Jahr 1852 nur 175 000 Römer gezählt
wurden, wurde dies schon 1870 an 226 000 Einwohner, die wohl zur Hälfte
Analphabeten waren, ablesbar. Hatte es bislang den Anschein, dass in Rom die Zeit
stehen geblieben sei, nun begann das rasante Wachstum der Verwaltungsstadt,
deutlich zu sehen an den Vierteln um den Bahnhof Termini herum oder in Prati. 11
Wir lassen hier Ferdinand Gregorovius, den Kenner der Geschichte des
mittelalterlichen Roms, zu Wort kommen, der in den 80er Jahren in Briefen an
Hermann von Thile wiederholt beschrieb, wie dramatisch die Veränderungen und
die Verluste an architektonischer Substanz waren: „Die Umformung der Stadt
macht immer mehr Fortschritte – und so wenig schont man dabei der
geschichtlichen Erinnerungen, dass es ein Jammer ist, diesen Vandalismus und
Amerikanismus mit anzusehen. Nach 20 Jahren wird das Bild jener Roma, welches
Sie und ich noch vorgefunden und geliebt haben, vollkommen ausgelöscht sein.
Die Legende ‚Rom’ überhaupt ist schon durch die Eisenbahn zerstört worden.
Wenn die Reise hierher einst eine Pilgerfahrt und sicherlich ein Ereignis im Leben
der Menschen war, so macht man sie jetzt mit Tourbilletten in kürzester Zeit ab, und
so ist die Unerreichbarkeit Roms für das profanum volgus aufgehoben.“ und „Man
baut hier in einer fieberhaften Ungeduld, aber auch dieser entsprechend, so daß
Senecas Wort von den Römern ‚sie bauen, als sollten sie ewig leben, und tafeln, als
sollten sie morgen sterben’, heute nicht mehr wiederholt werden kann. Es ist wohl
peinlich für jeden, der das alte Rom gekannt und geliebt hat, die Zerstörungen am
Tiber, in Trastevere und mitten im Marsfeld anzusehen. Alle alten Türme in
Trastevere nebst mehren Straßen sind nicht mehr, der letzte, der Torre Anguillara,
fällt demnächst. Nur mit Mühe und Not ist die sogenannte Casa di Pilato gerettet
worden. Der Ponte Rotto wird eben abgebrochen. Ich betrat ihn gestern zum
allerletztenmal. Die berühmtesten und schönsten Villen wurden an
11 Gregorovius, Ferdinand: Römische Tagebücher 1852-1889. Herausgeben und kommentiert von
Hanno-Walter Kruft und Markus Völkel. München 1991. Noack, Friedrich: Deutsches Leben in Rom
1700-1900. Stuttgart 1907.
6
Baugesellschaften verkauft; dies Schicksal traf bereits die Villa Patrizi, Villa Massimo
und neben ihr sogar die Villa Ludovisi. … In 10 bis 20 Jahren ist das Mittelalter aus
Rom ganz verschwunden, oder es wird sich nur in ein paar Kirchen geflüchtet
haben. Kein Mensch wird dann mehr in den Fall kommen, in welchem ich mich
einst befunden habe, nämliche aus dem Anblick des antik-mittelalterlichen
Gepräges der Stadt die Begeisterung für ihre Geschichte im Mittelalter zu
schöpfen.“12 Diese Veränderungen hat Anselm Feuerbach in seinen römischen
Jahren wahrgenommen, die Illusion der möglichen Flucht aus der Zeit der Geldund
Maschinenmenschen konnte letztlich auch in Rom nicht aufrechterhalten
werden. Möglicherweise war dies nach seiner Wiener Professur auch der Grund,
nicht nach Rom zurückzukehren, sondern sich in Venedig anzusiedeln.
Die Bedeutung der Modelle für die Maler in Rom
Die in Rom angesiedelten Künstler bewegten sich in Rom und seinem Umland
innerhalb gewisser Infrastrukturen, die sie für ihre künstlerische Zwecke
benötigten und an denen die Bevölkerung durchaus verdiente. So trafen sie sich in
einschlägigen Tavernen, unternahmen gemeinsame Reisen, feierten in den Grotten
von Cervaro am Ufer des Anio oberhalb von Ponte Mammolo, gründeten den
Deutschen Künstlerverein und bewohnten das Viertel unterhalb des Pincio, wo
man an der Spanischen Treppe Modelle anheuern konnte. Manche Maler, die nach
Rom reisten, befassten sich eingehend mit den antiken Überresten, andere
interessierten sich speziell für die Malerei vorangegangener Epochen oder den
besonderen Schönheit der italienischen Landschaften. Manch einer suchte aber
auch im malerischen popolo romano seine Modelle, die meistens namenlos und in
typisierter Schilderung geradezu gesichtslos blieben. Anekdotenreich ist aber auch
belegt, dass verschiedene Liebschaft zwischen Künstlern und ihren Modellen bzw.
Wirtstöchtern in Hafen der Ehe endete.
Manchmal strahlte die außergewöhnliche Schönheit eines einzelnen Modells
auch aus der anonymen Masse heraus und es erlangte eine gewisse Berühmtheit. So
entdeckte der Diplomat und Sammler August Kestner 1820 in Albano die
Winzertochter Vittoria Caldoni, die er schließlich nach Rom in das Haus des
Hannoveranischen Gesandten Baron von Reden, die Villa Malta13, brachte, wo
verschiedene Künstler zusammenkamen, um sie zu malen. Kestner selbst wusste
von 44 Bildnissen zu berichten, die nach ihr entstanden, da man ihre
12 Haufe, Eberhard (Hrg.): Deutsche Briefe aus Italien. Von Winckelmann bis Gregorovius. Leipzig
1965. S. 418f.
13 Abb.en unter: http://www.google.de/search?q=vittoria
+caldoni&hl=de&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ei=ZyYqUouzGoK7hAePx4GYDw&sqi=2&
ved=0CC8QsAQ&biw=1159&bih=1197
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Naturschönheit und ideale Vollkommenheit bewunderte. Der Raffael-Kult der
Nazarener spielte bei deren Bildfindung eine zentrale Rolle. Aufschlussreich sind
hierzu Ellen Spickernagels ‚Feministische Studien’ (1995) zum Fall Caldoni, die die
Ereignisse und Aussagen Kestners im Spiegel der ‚romantisch-nazarenischen
Künstlertheorie’ interpretiert. Die ‚Nazarener’ teilten sich nicht zuletzt nach ihrer
Religionszugehörigkeit in den katholischen Lukasbund, wohnhaft in den
Mönchszellen des Klosters S. Isidoro, und die protestantischen ‚Capitoliner’, nach
ihrem Wohnort auf dem Capitol benannt. Ellen Spickernagel macht darauf
aufmerksam, dass die Lukasbrüder, organisiert wie eine Art Männerorden, Frauen
als Modelle ablehnten, weil ihre Benutzung zur Abstumpfung der künstlerischen
Empfindungen führe. Außerdem schlos sen s ie Frauen aus ihren
Freundschaftsbünden und später, als sie Professoren an deutschen Akademien
waren, vom Studium der Künste aus.
Das taten sie zu einer Zeit als die Etablierung der Künstlerin längst begonnen
hatte und Modelle sich eine kreative Rolle im künstlerischen Schaffensprozess
eines Bildes erobert hatten. Solche eine Frau war Lady Hamilton.14 Ulrike
Ittershagen widmet dem berühmten Modell ihr Buch ‚Lady Hamiltons
Attitüden’ (1999), in dem sie beschreibt, wie Emma Hart, 1791 verheiratet mit dem
als Gesandter in Neapel tätigem Lord Hamilton und begabt mit schauspielerischem
Talent und besonderer Schönheit, die Bildideen verschiedener bedeutender
Malerinnen und Maler ihrer Zeit wie, Angelika Kauffmann, Elisabeth Vigée-Lebrun
und Johann Heinrich Wilhelm Tischbein verkörperte.
Ellen Spickernagel weist weiter darauf hin, dass Kestner in seinem erst 1850
herausgegebenen Buch ‚Römische Studien’ ein ganzes Kapitel dem Modell Vittoria
Caldoni widmete. Dort entfaltet Kestner nicht nur die ‚romantisch-nazarenische
Künstlertheorie’, sondern er versucht im Nachhinein „eine Kampagne gegen die
gefeierte Frau und ihre Leistung im Rahmen künstlerischer Arbeit“ zu
legitimieren.15 Kestner beschrieb Vittoria Caldoni darin als ein frommes,
bescheidenes Mädchen von 14 Jahren, das in der überlieferten Tracht von
außergewöhnlicher Schönheit, aber ohne sinnliche Ausstrahlung gewesen sei.
Außerdem sei ihre Figur unansehnlich gewesen. Sie hätte nur dagesessen, also
nicht posiert und nicht einmal verstanden, was um sie herum vor sich ging. An
Vittoria Caldoni wird der Rückschlag deutlich, den das Modell durch die
14 Abb.en unter: http://www.google.de/search?q=vittoria
+caldoni&hl=de&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ei=ZyYqUouzGoK7hAePx4GYDw&sqi=2&
ved=0CC8QsAQ&biw=1159&bih=1197#hl=de&q=lady+hamilton&tbm=isch
15 Spickernagel, Ellen: Vittoria Caldoni. Vom Aufstieg und Fall des weiblichen Modells im frühen 19.
Jahrhundert. In: Feministische Studien. Stuttgart 1995. 13, S. 73.
8
romantischen Kunsttheorie erfuhr: ein Modell hatte passiv, unkreativ, unverständig,
identitäts-, gar geschlechtslos zu sein.
Rainer Metzger rechtfertigt im Katalog ‚Religion – Macht – Kunst. Die
Nazarener.’ der Schirn Kunsthalle Frankfurt (2005) die Modernität dieses Ansatzes
als „eine der frühesten Manifestationen von Konzeptualität“ heraus: „Doch woran
die Nazarener appellieren, wenn sie etwa Raffaels Madonnenbilder mehr oder
weniger exakt nachempfinden, ist nicht Glaube, sonders das antiquarische Artefakt,
das ihre eigenen Zeit kanonisiert hat. Und sie nehmen sich dabei bewusst zurück:
Dass etwas als kanonisch gilt und damit ausgewiesen ist als große Kunst ist
wichtiger als die individualitätstrunkene Herstellung von Niedagewesenem.“16
Bekanntlich ging Kestner aber auch ausführlich darauf ein, dass keines der nach
ihr entstandenen Porträts ein befriedigendes Bildnis von ihr abgegeben hätte.
Stattdessen scheiterten die Künstler, die um sie herum im schöpferischen Akt um
ihr Bildnis ringen, an ihr. Tatsächlich ist diese ‚Schwäche’ der Bilder teilweise heute
noch wahrnehmbar, doch sollte man bei Kestners Darstellung der verzweifelten
Künstler hellhörig werden. Ist es nicht heute noch sichtbar, dass die romantischen
Künstler nicht fähig waren, den Kanon, d.h. die Idee von der überzeitlichen,
raffaelitischen Schönheit, die Vittoria Caldoni für sie verkörperte, und ihr Bildnis,
das einen reellen Menschen in seiner historischen Situation wiedergibt, zur
Deckung zu bringen?
Oder wie Werner Hofmann sagte: „Der entscheidende Paradigmenwechsel des
19. Jahrhunderts konfrontierte die bürgerliche und aristokratische Heldin des
Hohen Stils aus Religion, Sage und Geschichte mit der proletarischen Heroine des
Niederen Stils, die sich im Zuge der Entwicklung der Klassengegensätze
emanzipierte. In der Tradition der sitzenden allegorischen Frauengestalten
porträtierte Friedrich Overbeck 1821 die Winzertochter Vittoria Caldoni aus Albano
als Schnitterin, die sich vor einem im Hintergrund wogenden Kornfeld nach der
Arbeit ausruht … Mit der am Boden liegenden Sichel, den Kürbissen und dem
Apfel ist sie eine Allegorie des Sommers und Herbstes, auch eine Ceres. Der
träumerische Blicke und die dürerhafte Geste der Melancholie deuten ihr
Nachsinnen über die Möglichkeiten und Grenzen ihrer proletarischen Existenz
an.“17 Das Modell brach hier – ganz gegen den Willen der Künstler – das Ideal auf,
es spielte eine allegorische Rolle, doch noch heute kann sein Bild ihre Identität, ihr
Selbstbewusstsein und ihre Selbstreflexion nicht verbergen.
16 Hollein, Max; Steinle, Christa (Hrg.): Religion – Macht – Kunst. Die Nazarener. Ausstellung Schirn
Kunsthalle Frankfurt. Köln 2005. Darin: Metzger, Rainer: Fragmente aus der Zukunft. Stichworte zur
Modernität der Nazarener. S. 40.
17 Hofmann, Werner (Hrs.): Eva und die Zukunft. Das Bild der Frau seit der Französischen
Revolution. Katalog zur Ausstellung Hamburger Kunsthalle 1986. München 1986. S. 47.
9
Die Begegnung mit Anna Risi
Anfang Oktober 1856 in Rom angekommen, liess Anselm Feuerbach schon am
8. Oktober verlauten: „Rom war mein Schicksal. – Was ich früher gearbeitet, ruhe in
Frieden, was ich jetzt beginne, dazu möge Gott seinen Segen geben.“18 Die
mangelnde Qualität seiner Arbeiten in der Karlsruher Zeit war aber noch nicht zu
Ende, auch in Rom gelang es ihm erst mit dem Eintreten von Anna Risi in sein
Leben seinen Stil zu festigen. Dies fiel sogar schon dem getreuen Freund Allgeyer
auf.19 Anselm Feuerbach benutzte schon vor der Begegnung mit Anna Risi Modelle
und plante schon bevor er in Rom kam: „Im Frühling, wenn meine Finanzen gut
stehen, sage ich Rom Valet und gehe ins Volskergebirge, in ein Nest, wo schöne
Menschen sind und schöne Trachten, und da male ich Bilder; große und wahre
Züge, wie sie sind … Gott hat mir das Talent gegeben, die Natur zu packen, kühn
hingesetzt, und die Erinnerung an das ewige Rom wird mich vor krassem
Naturalismus bewahren und mir soviel übrig lassen, meinen Gestalten den
plastischen Schwung zu geben, ohne dass ihre ergreifende Wahrheit dadurch
gefährdet würde … ich meine nur, dass wenn ich z.B. etwas Melancholisches malen
wollte, man keine weinende Italienerin braucht, im Hintergrund den Vesuv.“20
Aufschlussreich ist diese Formulierung, weil Feuerbach darin beschrieb, welchen
Menschentypus er als Modell dort zu finden hoffte: Natürliche Menschen, in denen
sich die Erinnerung an das ewige Rom in ergreifender Weise und melancholischem
Ausdruck spiegelte. Später – in Rom – an der spanischen Treppe fand er nach
Aussagen seines Freundes Allgeyer solche Modelle nicht. Doch mischt sich in
Allgeyers Beschreibung des Feuerbachschen Wunschmodells etwas von der
romantischen Vorstellung, wenn er das Modell als naiv und instinkthaft beschreibt:
„Die allgemein und für jeden käuflichen Berufsmodelle, wie sie zu jener Zeit die
spanische Treppe in Rom belagerte, widerstrebten Feuerbachs feinem
Künstlersinn. Er verglich die Münzen, die, von Hand zu Hand gegangen und
abgenützt, ihr ursprüngliches Gepräge mit einem leeren Schliff vertauscht hatten.
Was er verlangt, war schlichte Natur, die noch nicht ihre Einfalt eingebüßt, sondern
ohne falschen Pathos und angelernte Geste, mit naivem Sinne den Absichten des
Künstlers mit dem Instinkt des unverdorbenen Gefühls entgegen zu kommen
verstand.“21
18 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Aufl. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.1. S. 330.
19 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Aufl. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.1. S. 254,258.
20 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Aufl. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.1. S. 325.
21 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Aufl. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.1. S. 367f.
10
Dann erschien Anna Risi im Leben Anselm Feuerbachs. Sie konnte ganz
offenbar seine Ansprüche erfüllen, denn erst in ihren Bildnissen – einem großen
Werkkomplex, den er ausschließlich ihr widmete – erlangte Feuerbach
überzeugende Qualität, seine Bild- und Formensprache festigte sich in kurzer Zeit
und fand ihre Vollendung in seinem bedeutendsten Werkabschnitt. Anselm
Feuerbachs Biograph Julius Allgeyer stilisierte – ganz in den Fußstapfen der
Nazarener – die Begegnung mit Anna Risi als Feuerbachs Entdeckung. Kurz vor
Allgeyers Abreise aus Rom – März oder Anfang April 1860 – soll diese stattgefunden
haben: „Feuerbachs erste Begegnung mit dieser Frau fiel noch in die letzte Zeit
meines römischen Aufenthalts. Wir gingen eines Tages durch die Via Tritone, die
Straße, die von Piazza Barberini nach seinem Atelier hinunterführte, als wir eine
Frau erblickten, die mit einem Kinde auf dem Armen unter einem offenem Fenster
stand, … Die Frau, eine Erscheinung von geradezu imponierender Hoheit, mochte
Mitte der Zwanzig sein. Die Last von dunkeln Haaren umrahmte die strengen, von
einem melancholischen Ausdruck gemilderten Züge, deren Schnitt von der
reinsten, römischen Abstammung zeugte.“22 Und laut Allgeyer reflektierte
Feuerbach im weiteren Verlauf ihres gemeinsamen Weges auf Raffael, wie es schon
die Nazarener taten, und darüber, daß seine Zeit das Beste schon dargestellt hätten,
„das Bild von vorhin in Raphaels sixtinischer Madonna bereits erschöpft“ sei.23
Tatsächlich malte er sie aber erstmals 1860, als Mutter mit Kind, madonnengleich.
Gewisse Beziehungen zu nazarenischer Denkart sind hiermit belegbar. Aber im
Unterschied zu den Nazarenern, deren Modelle hinter Idealisierung und
Typisierung in Unkenntlichkeit verschwinden, war die Rolle, die Anna Risi bei
Feuerbachs Bildfindung spielte, absolut und unverhohlen dominant.24 Zwar
kündigte er im Januar 1861 an25, dass sie ihm für die seit 1858 geplante Iphigenie26
und das Gastmahl des Platos Modell stehen solle, doch die Mehrzahl der nach ihr
entstandenen Bildnisse, zeigen schlicht nur die prunkvoll gekleidete und
hoheitsvolle Figur der Römerin Anna Risi. Sie war Anselm Feuerbach in den
nächsten Jahren Modell, inspirierende Muse und bald auch die geliebte Frau. Dabei
verkörperte sie die Inkarnation antiker Schönheit so absolut, dass Anselm
Feuerbach keiner anderen Motive bedurfte. Da er sie niemals nackt malte, ging es
ihm offenbar nicht darum, ihre körperliche Schönheit zu verkünden. Die wenigsten
22 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Aufl. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.1. S. 470.
23 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Aufl. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.1. S. 471.
24 Abb.en der Nanna: http://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Anselm_Feuerbach?uselang=de
25 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Aufl. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.1. S. 466.
26 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Aufl. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.1. S. 379.
11
ihrer Bildnisse haben einen mythologischen oder literarischen Bezug: Da sind nur
die Iphigenie (1862), Lucrezia Borgia (1864/5) und Bianca Capello (1864).
Als sich Anna – jahrelang eng und ausschließlich an ihn gebunden – im Jahr
1865 einem anderen Mann anschloss und mit ihm Rom verließ, war er am Boden
zerstört. Wahrscheinlich wusste er, dass er niemals wieder eine Frau finden würde,
der es gelang, das Bild einer antiken Frauengestalt zu verlebendigen. Dabei war ihm
nicht so sehr die Rolle wichtig, sondern die beeindruckende, weil natürliche
Hoheit. Diese Ausstrahlung Annas beschrieb er in der sitzenden Iphigenie schon
1862: „Die Gestalt ist erheblich über Lebensgröße. Aus der ganzen Erscheinung
spricht ein Zug von herber, ehrfurchtsgebietender Hoheit. Sie posiert, wenn man so
sagen will, aber sie posiert nicht bewusst, nicht theatralisch, oder deklamatorisch.
Sie gibt sich einfach und groß, wie es der Tochter Agamemnons, der königlichen
Heerführers von Hellas, wie er der Abkömmlingin aus dem fluchbeladenen
Geschlechte der Tantaliden und der Priesterin im Bewusstsein ihres tragischen
Geschicks zusteht. Sie gehört einer anderen Welt an, denkt und empfindet anders
als eine Milletsche Bäuerin, aber darum nicht minder wahr, wie diese. Bewusstsein,
hoher Geist und Bestimmung, Gefühl geistigen Adels, Schönheit, Anmut,
körperlich edle Entwicklung bedingen eben notwendigerweise andere Allüren, als
eine plebeische Existenz sie erzeugt, ohne dass sie darum aufhörte, natürlich zu
sein.“27 Anna Risi war für Feuerbach nicht naiv und instinkthaft, sie mußte – nach
seinen Worten – im Bewußtsein von ihrem geistigem Adel und ihrer hohen
Bestimmung nicht einmal posieren. An späterer Stelle werden wir fragen, wo man
Anna Risi, sinnend und melancholisch in sich gekehrt, ansiedeln kann; verweist sie
nicht, das Ideal der raffaelitischen Schönheit einer spätromantischen Vittoria
Caldoni überwindend, auf die symbolistische femme fatale, die etwa eine Jane
Morris verkörperte?
Nach Anna Risis Fortgang wurde immer stärker – nicht nur in seiner Kunst –
eine gewisse Erkaltung spürbar, die er selbst an sich wahrnahm und offenbar auch
Lenbach veranlasste, ihn den ‚kalten Engel’ zu nennen.28 Ab 1866/7 fand er Ersatz
in Lucia Brunacci, die Anna sehr ähnlich war, und die auch ihren Mann für ihn
verließ. Lucia übernahm nun die Rolle der Anna Risi, aber ohne deren
Ausstrahlung zu haben, mimte sie lediglich wie eine Statistin mythologische
Frauengestalten, wie die Iphigenie und die Medea und war nun auch nackt zu
sehen im Urteil des Paris und als ruhende Nymphe. Feuerbach behandelte sie gut,
er bezahlte sie zeitlebens für ihre Dienste etwa für die Betreuung seiner
27 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Aufl. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.1. S. 508.
28 Hierzu siehe: Spoerri, Theodor. Genie und Krankheit. Eine psychopathologische Untersuchung
der Familie Feuerbach. Basel. 1952. S. 101.
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Besitzstände in Rom, auch wenn er nicht dort weilte, weil er bei
Sommeraufenthalten in Deutschland weilte, seine Professur in Wien antrat, oder
für längere Zeit in Venedig blieb.
Anna Risi in Feuerbachs Briefen
Doch betrachten wir nun die wenigen schriftlichen Äußerungen Feuerbachs
über sein Modell Anna Risi in chronologischer Reihenfolge, um das Verhältnis der
beiden zu beleuchten und etwas über Annas Persönlichkeit zu erfahren. Anselm
Feuerbach hatte sie also im Frühjahr 1860 kennengelernt, malte sie noch als
Madonna mit Kind, verließ dann aber Rom, um sich vom Mai bis zum November in
Deutschland aufzuhalten. Weder Feuerbach noch Allgeyer nannten zu diesem
Zeitpunkt Anna Risi bei ihrem Namen. Bald nach der Rückkehr nach Rom, schon
Mitte Januar erwähnten beide aber Anna als das ‚schöne Modell’, das für Iphigenie
und das Gastmahl des Plato stehen solle.29
Schon Ende Januar überwarf sich das immer noch namenlose Modell mit
seinem Mann und ging 15 Tage ins Kloster.30 Zu diesem Zeitpunkt verließ Anna Risi
anscheinend ihre Familie, ihre Zeit im Kloster wird in der Literatur als Bedenkzeit
vor dieser Lebensentscheidung interpretiert. Allerdings waren bei römischen
Frauen esercizii spirituali üblich, zu denen sie sich als Ostervorbereitung mehrere
Wochen nach Trinità dei Monti zurückzogen. Diese religiöse Praxis beschrieb Fanny
Lewald, die Rom auch in den 60er und 70er Jahren besucht hatte, in ihrem
‚Italienischen Bilderbuch’.31 Im Jahr 1861 war Ostern schon Ende März, Annas
Aufenthalt im Kloster könnte daher sehr wohl eine Ostervorbereitung gewesen
sein.
Worauf sie sich mit dem schwierigen und syphilitischen Anselm Feuerbach
eingelassen hatte, war ihr vermutlich in vollem Umfang zu diesem Zeitpunkt nicht
klar, er aber war mit den sich nun bietenden Möglichkeiten sehr zufrieden, so
beschrieb er sie am 2. Mai 1861: „Die nächsten drei Monate widme ich ganz meinem
Modell. Cardwell hat mir ein griechisches Gewand geschneidert und nun solltest
Du die hohe Gestalt sich darin bewegen sehen! …ich habe geglaubt, eine Statue
von Phidias zu sehen.“ und nahm sich vor, in einem Jahr 20 Bilder von ihr zu
malen.32
Am 8. Mai 1861 beschrieb er ihr durch Krankheit begründetes trauriges Wesen,
das auch in den Porträts spürbar ist: „Mein armes Modell hat eine unheilbare
29 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Aufl. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.1. S. 466.
30 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Auflage. Bd.I. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.1. S. 466f.
31 Berlin 1983. S. 188ff.
32 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Auflage. Bd.I. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.1. S. 469.
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Herzkrankheit, weswegen ich auch das Rauchen gelassen habe, und es ist
anzunehmen, daß ich der Letzte bin, dem er vergönnt ist, die Züge nachzubilden.
Sie kommt gerne zu mir und ich mache immer viele Späße, um sie aufzuheitern
und sie aufzuscheuchen aus dem Ernst, in dem Gedanken eines unvermeidlichen
Untergangs.“33 Anna bot ihm ganz offenbar die Möglichkeit der Spiegelung seiner
eigenen Persönlichkeit, die immer wieder in depressiven Phasen an innerer Qual
und Seelenpein litt. Ob er darüber berichtete, um bei Henriette Feuerbach, seiner
Stiefmutter, Mitleid für Anna zu erregen oder ob er damit ihre besondere
Faszination, nämlich die der überzeitlichen tragischen Heldin, beschrieb, ist unklar.
Aber er gestand auch nach zwei Jahren Beziehung zu ihr noch ungern ein, welcher
Art ihre Verbindung war. So gab er in einem Brief vom 8. Februar 1862 immer noch
vor, keine Liebesbeziehung zu ihr, sondern lediglich ein Modell zu seiner alleinigen
Verfügung zu haben. Allerdings beschrieb er auch, in welcher Abhängigkeit die
beiden voneinander standen: „Ich bin im Besitze des schönsten Modells von ganz
Rom, zum Neid und Aerger aller Künstler, die abgefahren sind. Die Person hat mir
zuliebe alle und die größten Anträge abgewiesen und ich habe das heilige
Versprechen, dass, wenn ich ihr Arbeit gebe bis zu meiner Abreise, ich sicher sein
kann, dass ich der Letzte bin, dem es vergönnt ist, sie zu malen. … Daß
Liebessachen vorwalten, die etwaige Heiratsplänen, die du hast, im Wege sind,
darüber sei ganz ruhig; es ist nichts von alledem; ihr Lebenswandel ist anerkannt
tadellos; und da sie verheiratet ist, so ist er reine Neigung und Verehrung und ich
müßte der dümmste aller Jungen sein, wenn ich solche Dinge unbeachtet beiseite
ließe.“34 Offenbar verheimlichte er seiner Mutter, dass Anna Risi ihren Mann
verlassen hatte und mit ihm zusammenlebte.
Über ihre Bedeutung für seine Kunst dagegen war er sich im klaren und dies
sprach er ganz offen aus: „Meine besten Ideen verdanke ich der Frau, die mir für
meine Kunst unentbehrlich geworden ist…“35 Erst am 28. Okt. 1863 sprach er von
einer dreijährigen Liebesbeziehung zu Anna, weswegen er nicht will, dass sie für
Andere arbeitete: „Zuletzt nur zwei Worte, ich danke Dir, liebe Mutter, für die Art,
mit der Du mein Verhältnis mit Anna berührst. Ich sage nur soviel, wenn es ein
Buch in der Welt gibt, in dem es geschrieben steht, dass man das Weib, das man
drei Jahre geliebt hat und die Freud und Leid geteilt hat, die alle Begeisterung für
die Kunst wachgehalten hat, wenn es geschrieben steht, dass man eine solche,
Verhältnisse halben, seien sie, welche sie seien, verlassen soll, dass sie genötigt wäre
in irgend einen fremden Dienst, oder sonst was zu gehen, dann bin ich bereit zu
33 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Auflage. Bd.I. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.1. S. 476.
34 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Auflage. Bd.I. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.1. S. 495.
35 Fischer, Otto (Hrg.): Anselm Feuerbach. Briefe und Bilder. Stuttgart 1922. S. 47.
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renunzieren. Vorderhand habe ich noch Mut und Stärke genug, sie zu schützen,
gegen jedermann.“36 Mehr ist über Anna Risi, ihre Lebensumstände und Beziehung
mit dem Maler in Feuerbachs Briefen nicht zu erfahren. Schon aufgrund seiner
Erkrankung an Syphilis wird ihre Liebesbeziehung doch sehr eingeschränkt
gewesen sein, sofern er darauf Rücksicht nahm, sie nicht auch zu infizieren.
Einschub: Der Dandy
Anselm Feuerbach klagte in seinen Briefen immer wieder über Schulden und
finanzielle Engpässe. Anscheinend war eine gewisse Unfähigkeit zum soliden
Wirtschaften durchaus familiär angelegt, musste doch schon der Großvater seines
Vaters Schulden begleichen, die dieser während seiner Heidelberger Studentenzeit
angehäuft hatte.37 Tatsächlich hatte der Maler einen Hang zur aufwendigen
Lebensführung, insbesondere seine Sucht nach teueren Kleidungsstücken war
hinlänglich bekannt. Schon im Jahr 1860 befanden die mit Henriette befreundeten
Schwestern Artaria38, „dass man noch nicht am Rande der Verzweiflung stehe,
solange man die feinsten weißen Anzüge oder Samtröcke, elegante, kunstvoll
geschlungenen Kravatten(!) und buntseidene schottische Mützen trage. Diese
Toilettensorgfalt (!) wurde damals .. als große Eitelkeit verspottet. Mit welchen
persönlichen Opfern die treue Mutter sie im Stillen erkaufte, ahnte Anselm
nicht…“39 Friedrich Preller d.J. beschrieb eine Begegnung mit Anselm Feuerbach
im Herbst 1862 in Olevano: „Ich … sah plötzlich … einen jungen Mann zu Pferde
vor mir. Er war mit peinlicher Sorgfalt gekleidet, trug ein schneeweißes
Sommerkostüm und hellviolette Handschuhe, in der Hand eine elegante
Reitpeitsche, mit der er in der Luft herumfuchtelte… Seine Erscheinung
befremdete mich sehr. (Aber) er war von hinreißender Liebenswürdigkeit …“40
Rosalie Braun-Artaria kommentierte seine Klagen an anderer Stelle so: „…
wirkliche Not, wie Böcklin und Genelli, hat er niemals gelitten, er schlug sich mit
gelegentlichen Schulden durch, wie so viele andere. Aber seine Träume und
Wünsche flogen stets nach einer sorglos glänzenden Lebensführung… Deshalb ist
es entschieden ungerecht, sein tragisches Schicksal allein der schnöden Mitwelt zur
36 Fischer, Otto (Hrg.): Anselm Feuerbach. Briefe und Bilder. Stuttgart 1922. S. 48.
37 Spoerri, Theodor: Genie und Krankheit. Eine psychopathologische Untersuchung der Familie
Feuerbach. Basel 1952. S. 40.
38 Porträts der Schwestern Artaria von Feuerbach in: Ecker, Jürgen: Anselm Feuerbach. Leben und
Werk. München 1991. Kat. Nr. 338 und 339.
39 Zitiert nach: Katalog Anselm Feuerbach. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe. Karlsruhe 1976. S. 28.
40 Zitiert nach: Katalog Anselm Feuerbach. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe. Karlsruhe 1976. S. 29.
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Last zu legen.“41 Dennoch legte die Stiefmutter anscheinend seine finanzielle
Misere Anna Risi zur Last, wogegen er sich aber am 17. Mai 1864 verwehrte: „Daß
ich, der ich so viel arbeite, nicht immer an alles denken kann, ist natürlich, zumal,
da ich alles mit meiner Hände Arbeit verdienen muß. Die paar Seidenfetzen, die
der arme Teufel von Frau trägt, die mir in der Malerei dienen und gedient haben,
und die sie sich selbst zuschneidert, wollen wir ihr nicht missgönnen. Umsomehr,
als ich mein heiliges Ehrenwort gebe, dass der Luxus mich nicht ruiniert, und gern
habe, daß die Leute, deren Persönlichkeit es verdient und erfordert, die es mit mir
zu tun haben, anständig angezogen sind.“42 Anscheinend sorgte er dafür, dass Anna
gut gekleidet war, was sicherlich nicht nur für seine Malerei, sondern auch Teil
seiner Selbstdarstellung, ja Selbstinszenierung, in Rom wichtig war.
Wie auch aus vielen seiner Selbstporträts hervorgeht, war er nicht nur gut
gekleidet, sondern dem modernen Leben entsprechend mit Frack und Fliege,
Mantel und Halstuch sowie einer Zigarette zu sehen. Er entsprach damit dem Typus
des Dandy, den Georg M. Blochmann beschreibt als zeitgemäße Ausformung eines
zeitlosen Ideals der Schönheit, die die Sicherheit der Manieren, die Art einen
Anzug zu tragen oder ein Pferd zu lenken mit der Leichtigkeit der Allüren und der
Sicherheit der Herrschermiene verband, sich aber dabei an den äußeren Grenzen
der Konventionen bewegte. Diese Geisteshaltung war hochaktuell und lässt sich
charakterisieren als „aristokratischer Modernismus, eine eigentümliche Mischung
aus Gegenwartsverherrlichung und –verteufelung, dem Abscheu vor der
industrialisierten Massengesellschaft und der gleichzeitigen Ausnutzung all ihrer
Annehmlichkeiten.“43 Ob sich Feuerbach dessen bewusst war, dass er damit ganz
dem Typ des Dandys entsprach, wie ihn Charles Baudelaire in den späteren 40er
Jahren figuriert hatte, muss dahin gestellt bleibe. Immerhin gelingt es Blochmann,
die Geistesverwandtschaft zwischen den beiden Männern als eine typische
moderne geistesaristokratische Haltung herauszuarbeiten: „seine Sehnsucht ist
Ausdruck der gezierten Melancholie, deren zeitgemäße Ausformung mit dem
Begriff des ‚ennui’ umschrieben wird, Müdigkeit und leidvolle Selbstabkapselung,
der vermeintlich distanzierte Beobachterstatus des Flaneurs gegenüber der Menge,
41 Zitiert nach: Blochmann, Georg M.: Zeitgeist und Künstlermythos. Untersuchungen zur
Selbstdarstellung deutscher Maler der Gründerzeit. Marées – Lenbach – Böcklin – Makart –
Feuerbach. Köln 1986. S. 167.
42 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Auflage. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.2. S. 24.
43 Blochmann, Georg M.: Zeitgeist und Künstlermythos. Untersuchungen zur Selbstdarstellung
deutscher Maler der Gründerzeit. Marées – Lenbach – Böcklin – Makart – Feuerbach. Köln 1986. S.
193.
16
die nicht nur Publikum seiner extravaganten Selbstdarstellung, sondern gleichzeitig
uneingestandenes Sehnsuchtsobjekt ist.“44
Warum verlässt Anna Risi Feuerbach?
Im Jahr 1865 verließ Anna Risi nach Jahren als exklusives Modell Anselm
Feuerbach. Es gibt Hinweise darauf, dass dies möglicherweise schon im Mai
geschehen ist. Zumindest behauptete dies sein Biograph Allgeyer45, der zu dieser
Zeit allerdings nicht in Rom weilte. Feuerbach war schon am 16. Mai in Baden-
Baden, wie Henriette Feuerbach an Allgeyer berichtet: „Ich bin sehr, sehr glücklich,
denn so gereift, so klar, so fest und kraftvoll, bei aller Angegriffenheit, die
körperlich noch vorhanden ist, habe ich ihn nie gekannt. Wir sind recht vergnügt
zusammen und ich besinne mich in einem fort, ob es kein Traum ist. Ein paar
Stunden ersten Gespräches haben mir Entschädigung gegeben für jahrelanges
Leiden. … Ich möchte, dass es allmählich wieder heiter und lustig um Anselm
wird. Wir müssen ihn jetzt ganz systematisch an Leib und Seele pflegen. Sie, der
Sie meine Kümmernisse kannten, können ermessen, wie ungeahnter Freude ich
nun ganz erfüllt bin.“46 Ob man aus diesen Zeilen herauslesen kann, dass Anna ihn
zu diesem Zeitpunkt schon verlassen hatte? Zumindest scheint ein einschneidendes
Ereignis jahrelanges Leiden bei Henriette Feuerbach beendet zu haben.
Im Katalog „Feuerbach e l´ Italia“ wird Annas Fortgang erst auf den September
datiert.47 Für diese These sprechen auch einige Vorgänge. Tatsächlich hatte Anselm
Feuerbach Rom im Mai verlassen, um wie üblich seinen Sommeraufenthalt in
Deutschland anzutreten. Davor hatte er sein Atelier aufgelöst, das sich in einem
Palast befunden hatte, der verkauft werden sollte.48 Erst Anfang September trat er
die Rückreise nach Rom an, traf Marées in Florenz, mit dem er nach zwei Tagen in
Rom bis Ende Oktober in die Campagna wollte.49 Offenbar hatte er nicht nur sein
Atelier aufgegeben müssen und die Bilder bei einem gewissen Kolb, wahrscheinlich
44 Blochmann, Georg M.: Zeitgeist und Künstlermythos. Untersuchungen zur Selbstdarstellung
deutscher Maler der Gründerzeit. Marées – Lenbach – Böcklin – Makart – Feuerbach. Köln 1986. S.
197.
45 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Auflage. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.2. S. 29.
46 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Auflage. Berlin, Stuttgart 1904. Bd. 2. S. 29.
47 Kat. Feuerbach e l´ Italia. Museo Civico Giovanni Fattori Livorno 2000. S. 33.
48 Henriette Feuerbach in einem Brief an Adolf Friedrich von Schack am 9. Mai 1865. Nach: Josephi,
Walter (Hrg.): Adolf Friedrich von Schack und Anselm Feuerbach. Originalbriefe des Künstlers und
seiner Mutter im Mecklenburgischen Geheimen und Hauptarchiv zu Schwerin. Sonderdruck aus:
Mecklenburgische Jahrbücher 1939. S. 50.
49 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Auflage. Berlin, Stuttgart 1904. Bd. 2. S. 30f.
17
dem Bankier und württembergischen Geschäftsträger in Rom untergestellt,
sondern hatte auch keine Wohnung mehr in Rom, denn er schrieb am 23. Sept.
1865 aus Rom: „Ich habe einstweilen ein großes Zimmer genommen, das ich
jedoch, wenn ich ein Atelier habe, weil es zu teuer ist, aufgebe. Bei Kolb der von
großer Freundlichkeit war, habe ich meine Bilder geholt und einstweilen bei mir
untergebracht…. Glaube nicht, daß ich mich Stimmungen hingebe, ich fasse groß
genug und habe es bewiesen, allein es gibt für manche Dinge nur einen Art – die
Zeit. Was die Liebe betrifft, so hätte ich gewünscht, daß diejenigen, denen ich in
früheren Zeiten all meine Zärtlichkeit zugewandt habe, mich begriffen hätten, oder
meiner würdig gewesen wäre … „50 Und an anderer Stelle: „Morgen ziehe ich ins
Atelier, es ist klein, doch groß genug, um die paar Bilder zu malen. Ein Zimmerchen
daneben, mit etwas hartem Bett, doch liegt mir nichts daran. Ich habe es getan, um
so rasch wie möglich an die Arbeit zu kommen … ich bin froh, daß ich zur Arbeit
komme, es ist doch das einzig Richtige. Ich habe über jene vergangene Geschichte
undeutliche, ziemlich traurige Dinge gehört …“51
Da er im Sommer 1865 also weder Atelier noch Wohnung in Rom hatte, ist die
Frage nach Anna Risis Lebensumständen während seiner Abwesenheit
naheliegend. Wir erinnern uns an eine Bemerkung in einem Brief: „…ich habe das
heilige Versprechen, dass, wenn ich ihr Arbeit gebe bis zu meiner Abreise, ich
sicher sein kann, dass ich der Letzte bin, dem es vergönnt ist, sie zu malen ließe.“52
und 1863 schrieb er: „… dass man eine solche … verlassen soll, dass sie genötigt
wäre in irgend einen fremden Dienst, oder sonst was zu gehen, dann bin ich bereit
zu renunzieren. Vorderhand habe ich noch Mut und Stärke genug, sie zu schützen,
gegen jedermann.“53 Wo war sie untergekommen, wie war sie im Sommer 1865
finanziell gestellt, war sie nun doch genötigt in fremden Dienst zu treten? Von
Feuerbach erfährt man darüber nichts, obwohl er noch geraume Zeit über ihre
Beziehung nachdenkt. So reflektierte er Allgeyer gegenüber darüber, dass er sie
geheiratet hätte, wenn es das italienische Scheidungsrecht zugelassen hätte: „Wer
mich kennt, dem brauch ich nicht erst zu sagen, dass ein Wesen, das mich in
solcher Weise durch Jahre an sich zu ketten vermochte, nichts Gewöhnliches sein
kann; ich würde mich für immer mit ihr verbunden haben, wenn eine Scheidung
50 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Auflage. Berlin, Stuttgart 1904. Bd. 2. S. 32.
51 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Auflage. Berlin, Stuttgart 1904. Bd. 2. S. 33.
52 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Auflage. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.1. S. 495.
53 Fischer, Otto (Hrg.): Anselm Feuerbach. Briefe und Bilder. Stuttgart 1922. S. 48.
18
und Wiedervereinigung nicht damals in Rom zu den Unmöglichkeiten gehört
hätte.“54
Er wußte auch, was er ihr verdankte, wie er ausdrücklich am 17.12.1865
formulierte: „Der Verlust meines Modelles – was für den Künstler die Seele ist –
lässt sich hart fühlen. Würde die Welt nur halb meine Noblesse haben, würden
solche gemeinen Geschichten nicht passieren. Was Frauen anbelangt, so brauche
ich keine Hausfrau, aber eine Muse, die meinem Schönheitssinn belebt und mein
Herz adelt.“55 Solchen Vorstellungen musste Lucia Brunacci, die bald wegen ihrer
großen Ähnlichkeit Anna Risi als Modell ersetzte, nicht genügen, wie er am 16.
Okt. 1868 schrieb: „Vor sechs . Jahren würde mir mein bildschönes Modell, das die
Ideen aus dem Kopf heraustrieb, Ersatz gewesen sein für das traurigste aller
traurigen Leben; heutzutage sind meine Bedürfnisse anderer Art und vom bloßen
Anschauen / und Weiterbilden kann ich nicht leben. Ich brauche ein Freundin, die
mir das Leben wert macht, da wir einmal auf diesem Planeten nicht zur Einsamkeit
geboren sind.“56
Zu dieser Zeit war Anna Risi schon wieder geraume Zeit in Rom, denn wir
erfahren in einem Brief vom 3. Febr. 1868 nicht nur, dass er ein Atelier bezogen hat,
das das schönste in Rom sei und das er vorläufig auf Lebenszeit festhalten wolle,
sondern auch dass Anna im Januar 1868 nach Rom zurück gekehrt sei: „Mein
ehemaliges Modell ist in sehr katzenjämmerlichen Zustande vor etwas drei Wochen
in Rom wieder eingerückt. Ich bin ganz unberührt und so weit, dass mich selbst die
brillantesten Revanchen nicht mehr bewegen. Mein jetztiges Hauptmodell werde
ich dafür vor meiner Abreise für die unbezahlbaren geleisteten Dienste fürstlich
belohnen.“57 Interessant hieran ist, dass er nicht nur Annas herunterbekommenen
Zustand bemerkte, sondern in einem Atem mit der fürstlichen Entlohnung der
Lucia Brunacci vor seiner anstehenden Abreise erwähnte. Diese Bemerkung könnte
Anlaß zu der Annahme geben, dass Feuerbach inzwischen verstanden hat, dass er
sein Modell Anna Risi verloren hatte, weil er ihre finanzielle Versorgung nicht
gesichert hat. Mit Lucia Brunacci sollte ihm das nicht geschehen. Sie bezahlte er
zeitlebens für ihre Dienste, auch wenn er nicht in Rom war.58
Anna Risi, genannt ‚La Nanna’, im Werk anderer Maler
54 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Auflage. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.1. S. 472.
55 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Auflage. Berlin, Stuttgart 1904. Bd. 2. S. 35.
56 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Auflage. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.2. S. 100f.
57 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Auflage. Berlin, Stuttgart 1904. Bd. 2. S. 93.
58 Hartwig, Paul: Anselm Feuerbachs Medea Lucia Brunacci, Leipzig 1904.
19
Obwohl Feuerbach Anna Risi das Versprechen abnahm, dass sie sich nur von
ihm malen lasse, darf nicht übersehen werden, dass sie sowohl vor seiner Zeit als
auch danach als Modell arbeitete und sich offenbar auch einer gewissen
Berühmtheit erfreute. Vor einer Entdeckung durch seine Person kann jedenfalls
keine Rede sein. Auffällig auch, dass sie in der Rezeption ihrer Person durch die
Kunstgeschichte immer wieder „Nanna“ genannt wird. Richard G. Dorment, der
sich mit den von Frederic Leighton 1858/59 in Rom geschaffenen Bilder nach Anna
Risi befasst, stellt noch eine Reihe weiterer Werke zusammen, die in der Zeit von
1858 bis 1869/70 von der Hand anderer Künstler entstanden sind und die alle den
Bildtitel ‚Nanna’ tragen.59 Leider ist über die Künstler, die laut Dorment schon vor
Feuerbach mit Anna Risi gearbeitet haben sollen, kaum etwas in Erfahrung zu
bringen.60
Anders bei Frederic Leighton.61 Er benutzte nachweislich Anna Risi zwischen
November 1858 und April 1859 als Modell. In einem Brief an seine Mutter vom 24.
Februar 1859 nannte er auch ihren Namen: „I am just about to despatch to the
Royal Academy some studies from a very handsome model, ‚La Nanna’.”62 Schon
bevor also Feuerbach Anna kannte, malte Frederic Leighton das Modell und kannte
59 Dorment, Richard G.: A Roman Lady by Frederick Leighton. In: Bulletin. Philadelphia Museum of
Art. Juni 1977. Vol. 73. Number 317. P. 2-11.
60 Dorment führt von Jean-Baptiste Clésinger Nanna Risi (1858) und von Emma Stebbins Bust of
Nanna Risi (um 1860-1870) zwei Büsten auf. Des weiteren nennt er Gemälde von Jean-Léon Gèrôme
Study of a Roman (Nanna Risi)’ (1844?), Leon Bonnat Nanna Risi (um 1858-59), Albert Hertel Portrait of
Nanna Risi (nach 1863), Ferdinand Keller Portrait of Nanna Risi in a Roman Toga (um 1867/69) und
Nathanael Schmitt Porträit of Nanna Risi (1874). Zum Teil ist über diese Künstler kaum etwa zu
erfahren. Über Clésinger und Bonnat weiß man so gut wie nichts, Stebbins soll 1857 in Rom
gewesen sein, was Dorments Datierung ihrer Büste fragwürdig macht. Ähnlich ist es bei Schmitt,
der 1872 und 1880 in Rom war. Die Biografie von Ines Hertel über den Maler Albert Hertel
(1842-1912) datiert die als ‚Nanna’ aufgeführte auf die Zeit 1863-67, da Hertel zwischen September
1863 und Juni 1867 erstmals in Rom war, und nennt keine Signatur. Gèrômes Study of a Roman von
1844 zeigt einen ähnlichen Typus, allerdings war Anna 1844 wohl erst 10 Jahre alt.
61 Abb.en unter: http://kunstkommtvonkoennen.blogspot.de/search/label/Nanna%20%28Anna
%20Risi%29
62 Zitiert nach: Dorment, Richard G.: A Roman Lady by Frederic Leighton. In: Bulletin. Philadelphia
Museum of Art. Juni 1977. Vol. 73. Number 317. P. 6.
20
es unter dem Namen ‚La Nanna’.63 Die Bezeichnung ihrer Person als ‚die Nanna’
spricht deutlich von ihren Bekanntheitsgrad. Zwischen dem 20. November und dem
7. April notierte Leighton zahlreiche Male, dass – unter anderen Modellen – auch
sie für ihn saß.64 Leighton malte nach ihr nachweislich vier Gemälde, allerdings
ohne diese mit ihrem Namen zu betiteln: Sunny Hours ist verloren, A Roman Lady
befindet sich im Philadelphia Museum of Art, zwei weitere, Pavonia betitelt, sind in
der Royal Collection und im Leighton House London zu besichtigen. Leighton
malte Anna Risi in verschiedenen Posen, doch obwohl er ein hervorragender
Porträtmaler war, schilderte er sie in klassisch-idealisierender Weise, wie es typisch
für seine Art der mythologischen Frauendarstellung war. Diese Bilder hat der
Prince of Wales während seines Besuches im Februar 1859 bei Leighton im Atelier
gesehen und die Pavonia gekauft.
Gelegentlich werden Feuerbach und Leighton in Beziehung gesetzt, allerdings
gibt es keine Belege dafür, dass Leighton und Feuerbach sich schon während ihrer
beider Ausbildung in Deutschland und Paris kennen gelernt haben sollen. Sie
waren erstmals in Rom zeitgleich an einem Ort anzutreffen, hier könnten sie sich
tatsächlich bei gemeinsamen Aktivitäten etwa des Deutschen Künstlervereins
kennen gelernt haben, wo laut Noack auch Leighton verkehrte.65 Allerdings mied
laut Allgeyer Feuerbach den Deutschen Künstlerverein schon ab 1858, weil ihn die
Missgunst unter den deutschen Künstler störte.66 Er selbst war allerdings auch
nicht zimperlich, wenn es darum ging, seine Landsleute zu beschreiben. „Das alte
Ungeheuer, Deutschland, wirft täglich, dem Meere gleich die wunderlichste
Menagerie auf italienischen Strand. Mit wenig Geld, von vornherein von seiner
culturhistorischen Wichtigkeit überzeugt, tritt der Deutsche, fertig mit sich, einer
tausendjährigen Culturepoche entgegen. Der Strohhut im Winter – Italien ist ja das
Land, wo die Zitronen blühen.- ein unvermeintlicher Plaid, malerisch um die
63 Vermutungen, daß ihr Name von der Hauptperson, der Kurtisane Nanna, aus Pietro Aretinos
‚Kurtisanengesprächen’ (1534) abgeleitet ist, sind schwer zu belegen, zumal die Ragionamenti zwar
berühmt waren, aber kaum verlegt, geschweige denn übersetzt wurden. So stellt Carolin Fischer
1994 in ihrem Band ‚Education érotique’ fest, dass die Pietro Aretinos Buch im 18. Jahrhundert
nicht in einer einzigen Übersetzung vorliegt. Auch für das 19. Jahrhundert lässt sich weder in
Literatur – so auch die Meinung von Gunnar Och (Universität Erlangen) und Frauke Bayer – noch
Kunst (Recherchen in Foto Marburg und Prometheus) eine Aretino-Rezeption feststellen. Zwar
malte Feuerbach den Tod des Aretin, vielleicht wurde er dazu von Tizians Porträt des Aretin
inspiriert, aber er nannte zumindest in Briefen die Risi nicht Nanna, sondern Anna.
64 Ormond: Lèonee and Richard: Lord Leighton. Published für the Paul Mellon Centre for Studies
in British Art. London 1975: “p. 41: 20, 21 and 22 November, 1-6 and 12-17 December (1858), 7-12
January, 3, 4, 16, 25 and 27 February, 21 and 22 March, 6 and 7 April (1959).”
65 Noack, Friedrich: Deutsches Leben in Rom 1799 bis 1900. Stuttgart 1907. S. 239.
66 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Aufl. Berlin, Stuttgart 1904. Bd. 1. S. 377.
21
Schultern drapiert, unmögliche Beinkleider, auf unrichtig modellierte Stiefeln, geht
er einher – jeder Schritt auf klassischem Boden! Alte Betschwestern und resignierte
Literatinnen mit langen ergrauten Gelocke treiben sich in geringen Speisehäusern
und obskuren Cafes herum. Als Unterrock tragen sie ein gesteppte Bettdecke, als
überwurf eine Fenstergardine. Sie sprechen von Raphael oder von den
Katakomben oder von den Katakomben und Raphael.“67
Auch die Künstler-Kollegen bekamen ihre Fett ab: „Von einer Tagtour aus Vehi
zurückgekehrt, traten etwa fünf nicht mehr junge Leute – jetzt sämmtlich
angestellte Professoren in Deutschland – in etwas dubiösen Zustand, die Hüte mit
Kränzen umwunden, bei einem der feineren Restaurant´s ein, und begannen eine
überaus lärmende Conversation. Um nicht gesehen zu werden, drückte ich mich in
eine Ecke. ‚Dovrebbero essere mezzo matti’ (AW: Sie müssen halbverrückt sein)
sagte ein Italiener leise zu mir. Ähnlich Beispiele, lautes Schreien, vieles Trinken,
immer Herumhandeln, kann man täglich Jahr aus & ein beobachten. Daher
schreibt sich auch von Seiten der Italiener der Mangel an Sympathie her.
Bewunderswürdig ist die Duldsamkeit, der Gleichmut mit welchem das ital. Volk
auf solche Karikaturen blickt.“68
Offenbar pflegte er aber Umgang mit den in Rom lebenden Engländern. Nicht
nur dass ihm der Bildhauer Cardwell die Kleider für die erste Iphigenie in Gestalt
der Anna Risi schnitt. Tatsächlich gibt es eine Briefnotiz Feuerbachs vom 7. Februar
1859 zu entdecken, die in die Zeit fällt, als Leighton das Modell nutzte, und die die
Bekanntschaft mit Leighton nahelegt: „Ueber die Hoffnung, den Prinzen von Wales
bei mir zu sehen, habe ich absichtlich geschwiegen, wie der Enttäuschungen genug
sind. Wenn Dich das aber beruhigt, wisse, dass die Engländer, mit denen ich alle
Abende beisammen bin, stillschweigend, ohne mein Wissen, meinen Namen auf die
Liste der von ihm zu besuchenden Künstler gesetzt haben.“69 Daß Feuerbach Anna
Risi, das berühmte Modell, erst 1860 kennengelernt haben soll, erscheint daher
doch sehr unwahrscheinlich.
Ein späteres Porträt nach Anna Risi kennen wir von Ferdinand Keller
(1842-1922).70 Er hatte bei Schirmer in Karlsruhe gelernt und begab sich im
November 1867 nach Rom. Michael Koch verweist in seiner 1978 erschienenen
67 Kupper, Daniel (Hrg.): Anselm Feuerbachs „Vermächtnis“. Die originalen Aufzeichnungen. Berlin
1992. S. 95.
68 Kupper, Daniel (Hrg.): Anselm Feuerbachs „Vermächtnis“. Die originalen Aufzeichnungen. Berlin
1992. S. 98.
69 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Auflage. Berlin, Stuttgart 1904. Bd. 1. S. 398.
70 Abb.en unter: http://kunstkommtvonkoennen.blogspot.de/search/label/Nanna%20%28Anna
%20Risi%29
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Keller-Biografie darauf, dass Keller persönlichen Kontakt zu Feuerbach hatte, aber
keine tiefere Beziehung zwischen den beiden entstand, was wohl nicht zuletzt an
Feuerbach scheiterte. Schließlich beklagte sich Feuerbach in einem Brief an seine
Stiefmutter vom 12. Oktober 1869, dass Keller nun in seine Nachbarschaft ziehe.
Schon 1870 war Keller wieder in Karlsruhe als Lehrer für Porträt und
Historienmalerei anzutreffen. Möglicherweise lag die eher abwehrende Haltung
Feuerbachs gegenüber Keller darin begründet, dass Keller zur Zeit, als er in
Feuerbachs Nachbarschaft zog, vier Bildnisse von Anna schuf, die sich, wie schon
Michael Koch feststellt, durch eine beinahe sklavische Nachahmung von
Feuerbachs Gemälden auszeichneten. Schließlich zitiert Koch Aussagen von Keller,
die dessen Biografen Friedrich W. Gaertner festgehalten hatte: „Wie ich mit Anna
Risi, dem berühmten früheren Feuerbachschen Modell >Nanna< bekannt wurde,
weiß ich nicht mehr. Diese noch immer schöne, königliche Erscheinung, die
Feuerbach um mehrere Kopflängen überragte, hat mir von der Leidenschaft ihres
verflossenen Freundes viel berichtet. Ehe sie von der ebenso schönen Lucia
Brunacci als Modell und Geliebte Feuerbachs abgelöst wurde, hätte sie, aus Furcht
vor seiner grenzenlosen Eifersucht, nie gewagt, mein oder irgendein anderes Atelier
zu betreten.“71 Kellers Porträt der Nanna Risi in einer römischen Toga (1767-69)
stellt uns ganz unmittelbar das bekannte Modell mit Toga und Schmuck vor. Noch
1874 läßt sich ihre Tätigkeit als Modell nachweisen, ist doch das in der Karlsruher
Kunsthalle hängende Porträt von Nanna im Dreiviertelprofil von Nathanel Schmidt
auf dieses Jahr datiert. Inzwischen mochte Anna Risi etwa vierzig Jahre alt sein und
zeigt sich noch immer als gutaussehende Frau.
Anna Risis Porträts und die Malerei des 19. Jahrhunderts
Für die Interpretation der Risi-Porträts sind die bislang beschriebenen
Lebensumstände Feuerbachs, sein geistiger Hintergrund und das allerdings schwer
rekonstruierbare Verhältnis zwischen beiden wesentlich. Während Feuerbach eine
umfangreichen Selbststilisierung um seine eigene Person und seinen ‚seelischen
Tiefgang’ betrieb, und obwohl er wusste, dass Anna Risi eine bedeutende Rolle bei
der Schöpfung seiner Werke spielte, beutete er im Grunde ihre Persönlichkeit und
Ausstrahlung für seine Malerei aus, ohne an ihrer Person und ihrem Leben
tatsächlich Anteil zu nehmen. Entsprechend gering sind die Erkenntnisse, die bei
der Spurensuche nach Leben und Person der Anna Risi gewonnen werden
konnten.
71 Koch, Michael: Ferdinand Keller (1842-1922). Leben und Werk. Karlsruhe 1978. S. 62f. (Brief an
Mutter S. 15).
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Wir vertieften in den von uns gebündelten ‚Schlaglichtern’ nicht die schon von
anderen Autoren geleistete psychologische Interpretation der Person Anselm
Feuerbachs und seines Werkes. Seine Weltsicht kann man mit Sehnsucht nach der
Zeit der Antike und insbesondere des alten Italiens als Gegenwelt zur eigenen Zeit
zusammenfassen. Feuerbach wusste sich in einer Übergangszeit lebend. In seiner
Erziehung noch dem frühen 19. Jahrhundert angehörend, erlebte er sich in der
‚Maschinenmenschen-Zeit’ fremd, und versuchte ihr zu entrinnen, indem er sich
bewusst ‚zu den alten Göttern’, ja nach Rom flüchtete, dessen historische Folie er
als seinen Lebenshintergrund wählte. Hier fand er in der Zeitlosigkeit, ja Ewigkeit
der Kunst, Ersatz für das wirkliche Leben und Belege für seine eigenen, historisch
begründeten, geistigen Werte. Zugleich bedrückte ihn aber auch stark das Wissen
um die Unüberwindbarkeit der Geschichtlichkeit, um die Vergänglichkeit und die
Beschränktheit des Lebens.
Innerhalb seines Gesamtoeuvres nehmen die Bildnisse nach Anna Risi eine
besondere Stellung ein, so dass die Frage nach ihrer Einordnung in die Geschichte
der Malerei des 19. Jahrhunderts zu formulieren bleibt. Das Bild der Frau war eines
der zentralen Motive dieser Zeit und zog die verschiedensten Bedeutungshorizonte
und Stilrichtungen auf sich. Daher ist es per se schwierig, die Feuerbachschen
Anna-Bildnisse zuzuordnen. Sie stehen aber weder für die Anlehnung an die
venezianische Renaissance-Malerei oder die klassizistische Bewegung, auch nicht
der ästhetizistischen englischen Version eines Leighton, die Frauengestalten stark
typisiert benutzt72, noch mit der impressionistischen oder realistischen Strömung
in Verbindung. Vielmehr sind die Anna-Gemälde Feuerbachs in einer Strömung
anzusiedeln, die von der Romantik auf den Symbolismus weist. Dennoch sind sie
weder mit romantischen Madonnenfiguren nach Raffael noch mit Frauenporträts
wie etwa dem der Caroline Schlegel-Schelling von August Tischbein verwandt.
Anna wurde von Feuerbach meist ohne Titel dargestellt, d.h. die Allegorie der
Poesie ist ebenso die Ausnahme wie religiöse bzw. literarisch-mythologische Sujets.
Stattdessen ist sie meist in sich versunken, sinnend, im Sitzmotiv dargestellt, das
seit der Antike und wiederholt im 19. Jahrhundert für die Personifikation der
Melancholie benutzt wurde. 73 Der spürbare Bezug auf die Antike, die
Personifikation der Melancholie und das einfache Porträt überlagern sich also bis
72 Nachdem in England 1857 eine rigide Gesetzgebung gegen jegliche Pornagrafie eingeführt worden
war, waren erotische Frauendarstellungen nur noch unter dem Deckmantel der Kunst möglich.
Hierzu: Smith, Alison (Hrg.): Prüderie und Leidenschaft. Der Akt in viktorianischer Zeit. Katalog
Haus der Kunst München. Ostfildern-Ruit 2001.
73 Einem, Herbert von: Gedanken zu Anselm Feuerbach und seiner ‚Iphigenie’. In: Anselm
Feuerbach. Seine Famielie und ihre Zeit. Beiträge zur Speyerer Stadtgeschichte. Heft. 3. Speyer
1975. S. 38 – 62. Und: Clair, Jean (Hrg.): Melancholie, Genie und Wahnsinn in der Kunst. Katalog
Staatliche Museen zu Berlin. Ostfildern-Ruit 2005.
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zur ikonografischen Undeutbarkeit. Allen Porträts der Anna Risi ist aber gemein,
dass sie gerade aufgrund ihrer deutlichen Verschlossenheit in den bildmotivischen
Mitteln und gegenüber einer schlüssigen Interpretation über eine ungeheure
Symbolkraft verfügen.
Bezeichnend für ein Symbol ist sein Schnittpunktcharakter zwischen einem
sichtbaren Zeichen der Realität und einer geistigen, also unsichtbaren
Wirklichkeit, der sich mit ratio nicht erklären lässt. Ganz im Gegenteil kristallisiert
sich beim Versuch, das Symbolische mit sprachlichen Begriffen zu erfassen, ein
unübersetzbarer Rest heraus. Als Symbol sind die Bildnisse der Anna Risi ein
Extrakt aus der Fülle der Feuerbachschen Gedanken und Emotionen. Es ist zwar
sichtbar, aber es ist mehrdeutig und veränderlich, offene Projektionsfläche. Daher
gilt es hier zu prüfen, ob der Zyklus der Porträts nach Anna Risi eine Äußerung
eines frühen Symbolismus ist, der sich ja auch in anderen, ganz einzigartigen
Künstlerfiguren, wie Blake und Füßli längst angekündigt hatte, aber erst in den
80er Jahren kumulierte.
Wir möchten noch einmal Feuerbach zu Wort kommen lassen, da in seiner
Beschreibung der sitzenden Iphigenie von 1862 eine Begeisterung mitschwingt, von
der man nicht weiß, ob sie Anna oder seinem Bild gilt. Zugleich könnte es die
Beschreibung einer symbolistischen femme fatale sein: „Die Gestalt ist erheblich
über Lebensgröße. Aus der ganzen Erscheinung spricht ein Zug von herber,
ehrfurchtsgebietender Hoheit. Sie posiert, wenn man so sagen will, aber sie posiert
nicht bewusst, nicht theatralisch, oder deklamatorisch. Sie gibt sich einfach und
groß, wie es der Tochter Agamemnons, der königlichen Heerführers von Hellas, wie
er der Abkömmlingin aus dem fluchbeladenen Geschlechte der Tantaliden und der
Priesterin im Bewusstsein ihres tragischen Geschicks zusteht. Sie gehört einer
anderen Welt an, denkt und empfindet anders als eine Milletsche Bäuerin, aber
darum nicht minder wahr, wie diese. Bewusstsein, hoher Geist und Bestimmung,
Gefühl geistigen Adels, Schönheit, Anmut, körperlich edle Entwicklung bedingen
eben notwendigerweise andere Allüren, als eine plebeische Existenz sie erzeugt,
ohne dass sie darum aufhörte, natürliche zu sein.“74 Anna Risi war von großer
Gestalt und sie trug die hehre Schönheit und Hoheit des antiken Menschen, seine
‚naturwahre Poesie’75 bis in die Gegenwart eines Anselm Feuerbachs hinein. In
ihrem melancholischen Wesen spiegelte Anselm Feuerbach seinen Gemütszustand,
sein Streben nach Überzeitlichkeit, sein Sinnen über die Unüberwindbarkeit der
Geschichtlichkeit.
74 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. 2. Aufl. Berlin, Stuttgart 1904. Bd.1. S. 508.
75 Einem, Herbert von: Die Kunst Anselm Feuerbachs. In: Schimpf, Hans: Das Feuerbachhaus.
Schriftenreihe über das Leben und Wirken der Familie Feuerbach. H. 2. Speyer 1982. S. 8.
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Ihre ganze Erscheinung und die herb-melancholischen Gesichtszüge über dem
starken, langen Hals, gerahmt von üppigen, dunklen Haaren, die in prächtigem
Flechtwerk gefasst sind, zeugen von ‚reinster römischer Abstammung’. Zeigen die
ersten Büsten von 1861 sie noch in einfachen weißen Blusen, ist bald der Schmuck
üppiger und die Bekleidung so opulent, dass sie sich monumental über dem Körper
aufbaut, seine Sinnlichkeit verhüllt, ja zur Statuarik versteint. Meist überlebensgroß
vor monochromen Hintergrund sitzend und gerne in Kniestücke, also ebenso beinwie
bodenlos dargestellt, liegen ihre Hände ruhig im Schoß oder am Herzen. Nur
einmal wendet sie ihren Blick in dem Bildnis mit der Larve in der Rechten (1861)
dem Betrachter zu. Sonst ist sie von ihm immer abgewandt. Während das Licht auf
ihrem Hals fällt, liegen ihr Gesicht und insbesondere ihre Augen im Dunkel,
gelegentlich scheint ein rätselhaftes Lächeln auf ihren Lippen das Gesicht zu
erhellen, ohne dass es etwas von seiner Undurchdringlichkeit verlieren würde, so
im Bildnis mit Perlenkette und Fächer vor grünem Vorhang (1862).
Die Bildnisse der Anna Risi weisen durch einige formale und motivische
Aspekte auf das Bild der Frau in der symbolistischen Malerei, die sich ebenso etwa
bei Rossetti76 oder Munch nachweisen lassen, und die selbst die Stilkunst des Fin
des Siecle in Mucha oder Klimt beeinflußten. In Annas Melancholie spiegelt sich
die femme fatale mit ihrer berückenden, kalten Schönheit, ihrer ungeheueren
vitalen Kraft und einem beunruhigenden, weil sphinxhaften Lauern. Ihr Bildnis
wächst zur mythischen Größe der Männer verzerrenden Frauengestalten des
Symbolismus heran, deren sinnliche Pracht doch unsexuell und impotent ist. Doch
scheint auch die femme fragile durch, die liebend und von geistigem Adel, keusch
und vor erotische Aufladung zitternd, die erlösenden Offenbarung ersehnend, nie
zur Erfüllung gelangt.
Annna Risi ist – wie wir dies von vielen symbolistischen Frauengestalten kennen
– mit prächtiger Haarfülle, Symbol ihrer Triebhaftigkeit, schönen Händen und
kräftig-langem Hals ausgestattet, eine Gefangene, gefangen in den Gewändern und
Haaren, gefangen im Ornament ihre Ausstattung, gefangen in Umständen, die sie
zwar bedenkt, die aber kein Entrinnen zulassen. Die Ortlosigkeit der Szenerie des
grau-grünlichen, sie hinterfangenden Hintergrunds stellt das Ausgeliefertsein der
prächtigen Protagonistin dar und illustriert die Fremdheit und unentrinnbare Enge
der Umstände. Ihre Beziehungslosigkeit äußert sich in ihrer Blicklosigkeit. Sie ist
aber auch von der Natur und der sie umgebende Welt abgeschnitten. Einen Bezug
zur Wirklichkeit, die irgendwo jenseits des Bildes liegen mag, hat sie verloren. Ihr
Gesichtsausdruck spricht von der Absolutheit geheimnisvoller, innerer Welten,
76 Rossetti hatte schon ab der Mitte der 1850er Jahre immer wieder die gleichen Frauen gemalt, da er
sich aber seit 1850 vom Ausstellungsbetrieb zurückgezogen hatte, wurden seine Werke erst nach
seinem Tod 1882 der Öffentlichkeit zugänglich
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einem namenlosen Sehnen. In der Stille der statuarischen Strafung der Gesten
und der Ruhe der Szenerie liegt eine gewaltige, unheilvolle Spannung, die im
Moment nicht aufbricht, sondern eher einem inneren Schreien entspricht oder wie
Heinrich Theissing sagt: „Er (Feuerbach) sucht die verborgene Spannung, den
Handlungsdrang des Inneren bei äußerer Ruhe.“77 Das erinnert an eine Äußerung
Kandinskys über Rossetti und Burne-Jones: „Das sind die Sucher des Inneren im
Äußeren.“78 Anna Risi bleibt die Undeutbare und Unerreichbare, verschlossen,
doch glühenden Blickes verweigert sie dem Betrachter den Zutritt zu ihren inneren
Welten und zum Verständnis der Bilder. Dies ist jenseits aller Interpretationen
immer wieder die unmittelbare Erfahrung des Betrachters vor den Feuerbachschen
Porträts der Anna Risi.
77 Theissing, Heinrich: ‚Die Ewigkeit der Kunst’. Zu Anselm Feuerbachs Schaffen und Denken. In: Kat. Anselm Feuerbach. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe 1976. S. 64.
78 Kandinsky, Wassily: Über das Geistige in der Kunst. Bern 1952. S. 50.